Ein Sommer an der schwedischen Westküste ist oft kühl und bewölkt mit einer frischen Brise die uns frösteln lässt. Dennoch gibt es ihn, den magischen Hochsommer. Wenn die Tage länger sind als wir die Augen offen halten können, dazu warm und voller Sonne. An solchen Tagen wiegen sich die hellgelben Felder flimmernd träge in der Wärme, umsummt von allerlei Getier.
Mit der Badetasche in der Hand gehen wir vorbei an hohen Gräsern, Wiesenmargeriten und Getreide. Kornblumen und Klatschmohn vermischen sich zu einem leuchtenden Sommerfeld. Der Wind fährt durch die Reihen und lässt die blauen und roten Köpfe im Wellenmuster schaukeln. Dann sind wir in Gedanken schon am Meer und beschleunigen unseren Schritt. Wunderbar ist es einzutauchen in das kühle Blau. Das Rot des Mohns und die Glut der Sonne leuchten noch vor Augen. Wir lassen uns treiben und stellen uns den Meeresgrund vor wie von H. C. Andersen beschrieben.
Die Sonne, eine Purpurblume aus deren Kelch alles Licht ausströmte
„Weit hinaus im Meere ist das Wasser so blau wie die Blätter der prächtigsten Kornblume und so klar wie das reinste Glas, aber es ist außerordentlich tief, tiefer als irgendein Ankertau reicht. Viele Kirchtürme müssten übereinandergestellt werden, um vom Grunde bis über das Wasser emporzureichen. […]
An der allertiefsten Stelle liegt das Schloss des Meerkönigs. Die Wände sind von Korallen und die hohen, spitzen Fenster von dem allerdurchsichtigsten Bernstein, das Dach besteht aus Muschelschalen, die sich nach der Strömung des Wassers öffnen und schließen. Das gewährt einen prachtvollen Anblick, denn in jeder liegen strahlende Perlen, schon eine einzige würde ein herrlicher Schmuck in der Krone einer Königin sein. […]
Draußen vor dem Schlosse war ein großer Garten mit feuerroten und dunkelblauen Bäumen, die Früchte strahlten wie Gold und die Blumen wie glühendes Feuer, während sich Stengel und Blätter unaufhörlich bewegten. Die Erde selbst war der feinste Sand, aber blau wie eine Schwefelflamme.
Über dem Ganzen ruhte ein eigentümlicher, blauer Schimmer. Eher hätte man vermuten können, man stände hoch droben in der Luft und hätte nur Himmel über sich, als daβ man sich auf dem Meeresgrund befände. Bei Windstille konnte man die Sonne gewahren, die wie eine Purpurblume aussah, aus deren Kelch alles Licht ausströmte.“
Die lange Reise von der schwedischen Westküste zur grünen Insel
In der Freiheit des Meeres kann eine Seejungfrau von der schwedischen Westküste aus durch den Kattegat und Skagerrak bis zur Nordsee schwimmen. Sie wird hier und da auf einer Granitschäre innehalten und aus der Ferne den Dünen der dänischen Sandküste zuwinken.
Wenn sie sehr mutig ist, kann sie die Nordsee Richtung Westen durchqueren und dabei Schottland umschwimmen. Schafft sie es der rauen See des Atlantik standzuhalten, wird sie schließlich den Blick auf eine Insel werfen deren leuchtendes Grün über steilen Klippen funkelt. Möglicherweise trifft sie vor der Küste Irlands auf eine entfernte Verwandte ihrer Art. Lest mehr von den irischen Merrows und lasst euch von Sylvias Seafood Chowder inspirieren.
Text: Line Grube, 2021
Zitat: Hans Christian Andersen „Die kleine Seejungfrau“, 1837
Illustration: Line Grube „Mohnfeld auf dem Meeresgrund“, Aquarell und Buntstift, 2015