Illustration Birkensaft

Birkensaft, des Frühlings heilende Kräfte

Frühling
Immer wieder gelingt es.
Immer wieder dringt es.
Immer wieder treibt es.
Immer wieder lockt es.
Immer wieder berührt es.
Immer wieder verführt es.
Immer wieder schreibt es.
[…]

Die Birken von Edvard Munch

Birken zum ersten Mal richtig gesehen, das heißt mit ungeteilter Aufmerksamkeit und Staunen, habe ich in Oslo. Das Munch-Museum war zu dieser Gelegenheit noch in Tøyen gelegen. Herrlich düstere Kunst,  beherbergt in einem ausgedehnten, flachen Bau,  umgeben von einem Park. Ich stand vor dem Gemälde „Allee im Schneegestöber “ und fragte mich, ob rosa Zuckerwatte auf schwarzweißen Stämmen drapiert tatsächlich einer realistischen Birke entsprechen konnte.

Ein zartrosa Schleier in einer schwarzweißen Welt

Auf zahlreichen Zugreisen, wenn die Bäume schemenhaft vorbeirauschen, fand ich Munchs Darstellung der Birken fabelhaft bestätigt. Im Frühjahr, wenn die Blättchen noch in den Knospen Winterschlaf halten und nur die dünnen Zweige sichtbar sind, legt sich tatsächlich ein zarter, rosa Schleier über eine schwarzweiße Welt. Rosa Zuckerwatte auf einem Stab. Eine Blase, die sich wie ein Ballon um die Stämme aufspannt, das sind Birken im Frühlingserwachen.

Birken - Edvard Munch
Edvard Munch, „Allee im Schneegestöber, 1906“
Birken als Frühlingsboten

Nach Schneeglöckchen und Winterlingen sind die Birken einer der ersten Frühlingsboten. Historisch gesehen sind Birken dabei nicht nur ein Symbol des Frühlingserwachens. Mit der Gewinnung des Birkensafts (schwedisch: „björksav“) wird den Bäumen auch eine praktische Rolle zuteil. In der schwedischen Tradition ist dieser Brauch seit Jahrhunderten verankert und Bestandteil des Vorfrühlings. Der Winter hat sich dann bereits zurückgezogen. Die Birken haben jedoch noch nicht ausgeschlagen und stehen mit Wasser vollgesogen und gesättigt in gesammelter Kraft.

Birkensaft als Nährstoffquelle

Das ist der optimale Zeitpunkt um die Birken anzuzapfen und den Saft zu gewinnen. Früher war dieser eine wichtige Quelle für Minerale, Vitamine und andere Nährstoffe. Diese waren vom Körper über den langen Winter aufgebraucht und in anderer Form, wie zum Beispiel als Gemüse oder Obst, noch nicht vorhanden. Ich hatte bis jetzt nur ein einziges Mal Gelegenheit Birkensaft zu probieren. Den Geschmack habe ich als sehr mild und rein in Erinnerung. Ähnlich dem Wasser aus einer frischen Quelle.

Ein ganz besonderer Saft

Je nach Birkenart und geografischer Lage wird der genaue Zeitpunkt zur Saftgewinnung bestimmt. Dabei ist die Menge, die entnommen werden darf begrenzt, um den Birken während der Wachstumsphase keinen Schaden zuzufügen. Die Gewinnung von Birkensaft ist in Schweden nicht Bestandteil des Jedermannsrecht, sondern benötigt heute eine spezifische Genehmigung. Sowohl die Restriktionen als auch die schnelle Verderblichkeit machen den Birkensaft zu einem sehr kostbaren Gut. Der einstmals weit verbreitete Brauch ist rar geworden. Das liegt natürlich auch am breiten Lebensmittelangebot, das mit wenigen Einschränkungen ganzjährig verfügbar ist.

Frühlingserwachen

Da es an Nährstoffen eigentlich nicht mangeln sollte, ist der Symbolcharakter der Birken als Frühlingsboten gegenüber dem einstigen, gesundheitlichen Aspekt in den Vordergrund gerückt. Es ist doch wundervoll, wenn man im März oder April durch die Landschaft streift und das zarte Grün der Birkenblättchen bereits erahnen kann. Wer zu dieser Zeit noch mit einer Erkältung kämpft, dem kann ein Wunderwässerchen anderer Art empfohlen werden: irischer „Hot Toddy“ !

 

Gedicht: Eugen Gomringer, Auschnitt aus „Es – Immer wieder gelingt es.“, 2005
Titelbild: Line Grube, „Birkenstämme“, 2022
Text: Line Grube, 2022

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